Stärkung der phasenübergreifenden Vernetzung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in der Grundschuldidaktik Mathematik

In der Beitragsreihe „Forschung trifft Praxis: Impulse für die Grundschule“ stellt Dr. Susanne Wöller (TU Dresden) ein Projekt zur phasenübergreifenden Nutzung von Synergien in der Lehrkräftebildung vor.

Abstract

Zur Reduktion wahrgenommener Diskontinuitäten zwischen Theoriebezügen in der Hochschule und Anforderungen im Schulalltag wurde ein Konzept zur Stärkung der phasenübergreifenden Vernetzung in der Lehrer*innenbildung im Fach Mathematik der Grundschule entwickelt. Dieses zeigt eine Möglichkeit, der fehlenden Kohärenz der Phasen durch synergetische Kooperation zu begegnen und den Transfer von aktuellen fachdidaktischen Erkenntnissen in die Schulpraxis zu stärken. Im Lehrprojekt arbeiten Studierende und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) eng zusammen und entwickeln gemeinsam offene Aufgaben, sogenannte Lernumgebungen (vgl. u.a. Hirt & Wälti, 2014; Wollring, 2009), für den Mathematikunterricht an Grundschulen. Im Artikel werden Einblicke in den ersten Projektdurchlauf im Winter 2022/2023 gegeben. 

Konkrete Umsetzung des Lehrprojekts 

von Susanne Wöller

Das Herzstück des Projekts liegt in der Verzahnung von Studium und Vorbereitungsdienst, die durch eine phasenübergreifende gemeinsame Konzeption, Durchführung und Reflexion von mathematischen Lernumgebungen für den Mathematikunterricht in der Grundschule realisiert wird.

Um den Austausch und die Vernetzung zwischen den beteiligten Akteur*innen zu fördern, werden sogenannte ‚Tandempartnerschaften‘ aus zumeist zwei bis drei Studierenden und einer LiV etabliert. Die erste Kontaktaufnahme erfolgt durch Kurzsteckbriefe an die Studierenden. Diese Steckbriefe enthalten Basisinformationen wie den Namen und Ort der Schule, Klassenstufe, Kontaktmöglichkeiten sowie eine persönliche Botschaft. Initiiert wird die Kontaktaufnahme durch die Lehrbeauftragten der 1. und 2. Phase. Die beteiligten Akteur*innen führen individuelle Absprachen und tauschen sich aus. Studierende erhalten zudem die Möglichkeit, in den Klassen der LiV zu hospitieren.  

Eine curriculare Einbettung erfährt das Projekt sowohl in der 1. als auch in der 2. Phase. In der 1. Phase werden die Studierenden im Rahmen eines Seminars an der Technischen Universität Dresden begleitet und betreut. Sie erhalten die notwendigen theoretischen Grundlagen zur Konzeption von Lernumgebungen und treten während der Planungsphase in den Austausch mit anderen Studierenden und der Seminarleitung. Nach der Durchführung der Lernumgebung in den Grundschulklassen der LiV stellen die Studierenden ihre Ergebnisse im Seminar vor. Dabei geben sie Einblicke in die Arbeitsprozesse der Tandempartnerschaften, reflektieren ihren durchgeführten Unterricht und überarbeiten ihre Lernumgebungen wissenschaftsbasiert. Die Teilnahme von Lehrbeauftragten der 2. Phase wird explizit angestrebt, um einen ganzheitlichen Austausch zu gewährleisten. 

In der 2. Phase ist das Konzipieren von mathematischen Lernumgebungen Bestandteil der täglichen Unterrichtsgestaltung und damit auch ein wichtiges Thema in den Lehrveranstaltungen. Die LiV ermöglichen den Studierenden das Hospitieren in der eigenen Klasse, um die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen berücksichtigen zu können. Auf dieser Basis und im Dialog mit der LiV erfolgt eine passgenaue Planung. Die Umsetzung geschieht durch die Studierenden oder zusammen mit der LiV im Teamteaching. Im Anschluss reflektieren die Beteiligten den Prozess, wobei die LiV schon die Rolle einer Mentorin bzw. eines Mentors einnimmt und ihre Reflexionskompetenz durch den Perspektivwechsel schärft. Im Rahmen eines Markts der Möglichkeiten der 2. Phase stellen die LiV die erprobten Lernumgebungen und Arbeitsergebnisse vor und stoßen damit Erfahrungsaustausch und Diskussionen über Adaptionsmöglichkeiten der Lernumgebung an. Sowohl die Präsentation im Seminar an der Universität als auch der Markt der Möglichkeiten steht für Teilnehmende der jeweils anderen Phase offen. Studierende erhalten zudem erste Einblicke in den Vorbereitungsdienst und für die LiV wird der Bezug zu aktuellen Inhalten des Studiums hergestellt. 

Ziele und Mehrwert  

Das übergeordnete Ziel des Lehrprojekts ist es, eine effektive und strukturierte Verzahnung zwischen der 1. Phase des Studiums und der 2. Phase des Vorbereitungsdienstes in der Lehrkräftebildung zu erreichen. Durch die Nutzung von Synergien soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem Studierende, LiV, Dozierende und Lehrbeauftragte gleichermaßen voneinander profitieren können.

Die Studierenden profitieren von der Vernetzung, indem sie besser verstehen, warum sie bestimmte Inhalte im Studium erlernen und wie diese in der Schulpraxis Anwendung finden. Für die LiV wird das im Studium erlernte Wissen in den Kontext der aktuellen schulischen Realität gesetzt. Der Perspektivwechsel in die temporäre Rolle einer Mentorin bzw. eines Mentors hat das Potenzial, die LiV zu reflektierteren Lehrpersonen auszubilden. Beide Gruppen agieren zudem als Multiplikator*innen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Lehrkräfte im Schuldienst weitergeben.

Die Dozierenden und Lehrbeauftragten profitieren von der Aktualität und Vernetzung der Inhalte beider Phasen. Durch den regelmäßigen Austausch über ein zeitgemäßes, kompetenzorientiertes und fachdidaktisch fundiertes Leistungs- und Unterrichtsverständnis wird eine kontinuierliche Anpassung und Verbesserung der Lerninhalte sichergestellt. Eine solche nahtlose, kompetenzorientierte und praxisnahe Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte mildert den sogenannten „Praxisschock“.   

Erfahrungen aus dem ersten Projektdurchlauf 

Der erste Durchlauf des Lehrprojekts im Wintersemester 2022/23 hat wichtige Einblicke und Erfahrungen sowohl für Studierende als auch für LiV geliefert. Insgesamt wurden acht Tandems gebildet, die jeweils aus zwei Studierenden und einer LiV bestanden. Die Tandems befanden sich das ganze Semester hinweg in einer intensiven Zusammenarbeit. Sie konzipierten gemeinsam die Lernumgebungen und entwickelten Unterrichtsmaterialien, die am Ende des Semesters allen beteiligten Akteur*innen als Ideenpool für die weitere Unterrichtsplanung zur Verfügung standen. Die Vielfalt der erarbeiteten Unterrichtsmaterialien war beachtlich. Themen wie „Körperforscher“, „Symmetrien an Schneeflocken“, „Bandornamente“, „Geheimnisvolle Mauern“, „Wichtelzahlen“ und „Wir bauen einen Zoo“ kamen zur Anwendung. Die konzipierten Lernumgebungen wurden in Grundschulklassen der Jahrgangsstufen 1 bis 3 durchgeführt. Nach der Durchführung fanden in den jeweiligen Tandems Reflexionen der durch die Studierenden durchgeführten Unterrichtseinheiten statt.  

Das Feedback der beteiligten Studierenden war durchweg positiv. Eine der Studierenden betonte die Bedeutung der Anwesenheit und Unterstützung der LiV im Klassenraum: „Ich fand das sehr sympathisch. Sie war immer da / also jetzt im Klassenraum, wenn sie was gesehen hat, was wir nicht wissen konnten, dann hat sie mich da unterstützt. Sie hatte auch Ideen, wie wir das noch gestalten könnten.“ Die sorgfältige Nachbereitung des Unterrichts durch die LiV wurde ebenfalls hervorgehoben: „Also was uns sehr positiv aufgefallen ist, die Referendarin hat sich danach die Zeit genommen, die Stunde mit uns gemeinsam auszuwerten und hat uns auch gesagt, was wir verbessern könnten in unserem Umgang mit den Schülern oder auch bei unserem Auftreten“, so das Feedback einer anderen Studierenden. 

Auch die LiV fanden das Projekt gewinnbringend. Eine Teilnehmerin merkte an: „Ich hatte Lust auf das Projekt und fand das praktische Ausprobieren sehr wertvoll. Solche Projekte sollte es öfter geben.“ Die intensive, wenn auch zeitintensive Zusammenarbeit wurde als gewinnbringend für beide Seiten beschrieben. Eine andere Teilnehmerin resümierte: „Die Zusammenarbeit war für mich sehr angenehm. Es gab immer wieder gemeinsame Absprachen, die zwar relativ zeitintensiv waren, aber dennoch gewinnbringend.“ Besonders wertvoll schien der fortlaufende, gemeinsame Austausch: „Wir haben viel diskutiert. Teamteaching ist einfach toll.“ 

Aktuelle Entwicklungen des Lehrprojekts und Ausblick  

Das Lehrprojekt wurde nach dem ersten Durchlauf einer internen Evaluation unterzogen. Dabei wurden insbesondere für das Seminar an der Universität einige Anpassungen vorgenommen. So sollen beispielsweise mehr Möglichkeiten des Austauschs unter allen Akteur*innen (Lehrbeauftragte beider Phasen, Studierende, LiV) an zwei festen Terminen im Semester angeboten werden. Im aktuell laufenden Wintersemester 2023/24 wird das Lehrprojekt, inklusive der wissenschaftlichen Begleitung seitens der Universität, nochmalig durchgeführt. 

Perspektivisch ist geplant, auch die Entwicklung berufsbezogener Reflexionsfähigkeiten von LiV durch den temporären Rollenwechsel in die Funktion einer Mentorin bzw. eines Mentors noch während des Vorbereitungsdienstes zu untersuchen. Damit verbunden ist ein Modell einer weiterhin phasenorientierten Lehrkräfteausbildung, die phasenübergreifend kooperiert, um angehende Lehrkräfte mit einer starken Berufsorientierung ohne Vernachlässigung der Wissenschaftsbasierung auszubilden. Dabei können diese Synergien auch dafür genutzt werden, um dem Lehrkräftemangel durch eine Entlastung von Mentor*innen zu begegnen. Vielversprechend wird die erneute Projektbeteiligung der Studierenden nach dem Wechsel in den Vorbereitungsdienst sein. 

Die hier vorgestellten Erfahrungen am Beispiel der Grundschuldidaktik Mathematik regen dazu an, Synergiepotenziale phasenübergreifender Zusammenarbeit auch in anderen Fachdidaktiken sowie Schularten zu erproben. Ebenso ist zukünftig eine überregionale Vernetzung über den Standort Dresden hinaus angedacht. 

Projektbeteiligte/Kontakt: 

Literatur 

  • Hirt, U./Wälti, B. (2014): Lernumgebungen im Mathematikunterricht Natürliche Differenzierung für Rechenschwache bis Hochbegabte. Seelze: Klett/Kallmeyer. 
  • Wollring, B. (2009): Zur Kennzeichnung von Lernumgebungen für den Mathematikunterricht in der Grundschule. In: Peter-Koop, A. u.a. (Hrsg.): Lernumgebungen – Ein Weg zum kompetenzorientierten Mathematikunterricht in der Grundschule. Offenburg: Mildenberger, 9-26. 

Dr. Susanne Wöller ist Beschäftigte an der Professur für Grundschulpädagogik / Mathematik an der TU Dresden.


Grundschule aktuell

In der Fachzeitschrift Grundschule aktuell Nr. 165 (Februar 2024) wird das Lehrprojekt zur phasenübergreifenden Vernetzung in der Grundschuldidaktik Mathematik im Bundesland Sachsen umfassend vorgestellt. Im Artikel werden Einblicke in den ersten Projektdurchlauf gegeben sowie erste Forschungsergebnisse vorgestellt.

Wöller, Susanne; Mathea-Kreuter, Annett; Grajek, Andreas (2024): Phasenübergreifende Vernetzung. Ein Beispiel aus der Lehrkräftebildung in der Grundschuldidaktik Mathematik. In: Grundschule aktuell. Nr. 165. Grundschulverband. S. 41 – 44.

Link: https://grundschulverband.de/produkt/grundschule-aktuell-165-februar-2024/